Wandel des Ehrenamts
Der Nachwuchs ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen ist für Weltläden überlebensnotwendig. Auch wenn oft beklagt wird, dass es früher leichter gewesen wäre, Leute für ehrenamtliche Mitarbeit zu motivieren: Der Anteil der ehrenamtlich Tätigen ist lt. dem Fünften Deutschen Freiwilligensurvey 2014 nicht gesunken, sondern kontinuierlich gestiegen, von 30,9 % der Menschen über 14 Jahren (1999) auf 39,7 % (2019). Im Jahr 2019 engagierten sich 28,8 Millionen Menschen freiwillig bzw. ehrenamtlich, 1999 waren es noch 21,6 Millionen.
Es gibt also nach wie vor eine große Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren. (Die Datengrundlage des 5. Freiwilligensurvey stammt von 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland. Daher ist es mit den Daten nicht möglich, Aussagen über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das freiwillige Engagement zu treffen!) Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit die Ansprüche an das Engagement haben sich jedoch mit der Zeit verändert. Statt von einem "Rückgang" kann von einem "Wandel des Ehrenamtes" gesprochen werden.
"Altes" Ehrenamt | "Neues" Ehrenamt |
---|---|
Orientierung an Organisationen (wie Ortsverein und Kirchengemeinde) entsprechend eigener weltanschaulicher Bindung | Wahl des Engagements (aus der Perspektive vorhandener Alternativen) nach Interesse an den Inhalten der Arbeit |
Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit ergeben sich aus der Tätigkeit des Verbandes / der Organisation | Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit ergeben sich aus dem Inhalt des Engagements |
eher altruistische Orientierung und Zurückdrängung eigener Bedürfnisse | Erwartung an interessante Arbeit, die dem individuellen Anspruchsniveau entspricht, (auch) Selbstentfaltung ermöglicht und Spaß macht |
eher hierarchische Einordnung in Verbandsstrukturen | Mitgestaltung der Arbeit (Inhalt, Umfang, Dauer) als bedeutsames Motiv |
Konzentration auf eine Organisation und häufig langfristiges Engagement | Wunsch nach Vielfalt und Abwechslung: in Umfang und Dauer begrenztes Engagement bei mehreren Organisationen |
auf Dauer und auf verbindliche Mitarbeit angelegte Gruppe als Organisationsform | auf kurz- und mittelfristige Verpflichtung angelegte Initiativgruppen, Projekte und Aktionen als Organisationsform |
Die Unterscheidung in "alte" und "neue" Formen dient vor allem der besseren Beschreibung gegenwärtiger Tendenzen. Die Übergänge sind z.T. fließend und es können sich auch beide Anteile in einer Person finden. Ein eher traditionelles Verständnis von kontinuierlichem Engagement ist durchaus weiterhin vorhanden und auch wichtig, z.B. um Kontinuität in Gruppen zu gewährleisten. Auch kann langfristiges Engagement aus einem eher projektorientierten Einstieg entstehen, es sollte nur nicht von Anfang an erwartet werden.
Die veränderten Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement lauten:
- Menschen entscheiden sich bewusst für eine Tätigkeit im Weltladen und nicht, weil es in der Familie oder im Freundeskreis so üblich ist.
- Ehrenamtlich engagierte Menschen brauchen Anerkennung für ihre Tätigkeit, die sie früher aus ihrem traditionellen sozialen Umfeld bezogen bzw. weniger brauchten, weil das soziale Umfeld ihnen Sicherheit und Orientierung gab. Wichtige Voraussetzung für Anerkennung ist die Möglichkeit, sich zu entfalten und seine Fähigkeiten einzusetzen.
- Die Gruppe des Weltladens muss für jeden Einzelnen die Funktion eines sozialen Netzwerkes erfüllen, die über die reine Arbeit hinausgeht. Das bedeutet, dass auch die gemeinsam verbrachte Freizeit ein wichtiger Motivationsfaktor für ehrenamtliches Engagement ist (Ladenwochenende, Kneipengang nach Ladentreffen...).
- Ideologisch-politische oder ethisch-moralische Motivation ist weniger stark ausgeprägt als vermutet. Wichtiger ist die Rolle der Ladengruppe als sozialer Orientierungsrahmen.
- Es ist wichtig, sich in der Ladengruppe über das Ziel und den Inhalt der Arbeit zu verständigen und die Diskussion darüber immer wieder zu führen, da sich Rahmenbedingungen und Herausforderungen ändern. Diese Diskussionen sind notwendig, damit sich die Mitarbeiter*innen mit der Arbeit identifizieren können. Die Haltung "Das haben wir schon immer so gemacht" ist kontraproduktiv.
- Vermehrt erwarten ehrenamtlich Engagierte auch, bei ihrer Tätigkeit etwas zu lernen, fortgebildet zu werden. Ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht mehr nur gemacht, weil sie gemacht werden müssen, sondern weil die Ehrenamtlichen auch etwas davon haben.
- Anbieter von ehrenamtlichen Tätigkeiten müssen eine gewisse Professionalität aufweisen, um aus dem breiten Angebot an Vereinen und Initiativen als besonders attraktiv herauszustechen.
Das bedeutet, dass ehrenamtliche Tätigkeiten einen eher instrumentellen Charakter annehmen. Es geht stärker darum, eigene Interessen zu befriedigen (Spaß, soziale Orientierung, Weiterbildung, Zugang zu Ressourcen). Der Wandel betrifft grundsätzlich alle Generationen, ist besonders augenfällig bei jungen Menschen. Für Weltläden ergeben sich daraus Konsequenzen für die Gewinnung neuer Mitarbeiter*innen, die ein professioneles Freiwilligenmanagement erfordert.
Dieser Wandel trägt mit zum Umstand bei, warum es zunehmend schwierig ist Menschen zu finden, die längerfristig Verantwortung übernehmen, z.B. im Vorstand eines Vereines.
Stand: 2022
Quelle
Weltladen-Dachverband (2015): Grundkurs Weltladen. Modul 7 “Ladenorganisation”
Zum Weiterlesen
2019 Fünfter Freiwilligensurvey Zentrale Ergebnisse
Weltladen-Dachverband (2007): Neue Mitarbeiter*innen gewinnen und einarbeiten